Vulva und Penis beim Namen nennen… Wieso eigentlich nicht?
Wieso geben wir gewissen Körperteilen Übernamen und benennen sie nicht danach, wie sie richtig heissen? Unsere Arme oder Hände nennen wir doch auch nicht anders?
Der Begriff Vulva begegnete mir erst im jungen erwachsenen Alter, ich empfand das Wort sehr fremd und irgendwie so aufgesetzt damals. Beinah schon rebellisch, mit einem Statement. Ich fand es sehr unpassend, den Begriff Vulva zu benutzen. Ich hab ihn auch nur in Dokumentationen oder in der Literatur angetroffen, aber gar nie im Alltag.
Es war ein Prozess, dass Vulva und Penis inzwischen zu meiner Alltagssprache gehören…
Wie nennst du deine Geschlechtsteile? Hast du einen Namen dafür? Mir ist aufgefallen, dass viele Erwachsene Kindern gegenüber Übernamen benutzen für die Geschlechtsteile. Auch ich bin so aufgewachsen und es war ganz normal, dass ich ein „Müscheli" habe und die Männer ein „Schnäbeli“.
Dann hatte ich als Jugendliche mal einen Scheidenpilz und konnte in der Apotheke nur sehr schambehaftet berichten was mich schmerzt und juckt. Oder bei der Frauenärztin, es fühlte sich jeweils sehr unangenehm an, über diesen Bereich meines Körpers zu sprechen. Mir fehlten die Worte, die Begriffe. Ich kann ja schlecht vom Müscheli berichten. So sagte ich halt Scheide, wie ich es in der Schule gelernt hatte.
Ich wurde Mutter und wollte, dass meine Tochter ihren ganzen Körper von Anfang an benennen kann und später nichts umlernen muss im Erwachsenenleben. Ich beschäftigte mich näher mit dem Thema und lernte, dass Vulva der korrekte Begriff ist für das weibliche Geschlecht. Ich erfuhr auch, dass Scheide lediglich Vagina bedeutete und nicht das ganze Geschlecht mit Vulva/Venushügel, inneren und äusseren Vulvalippen und Klitoris damit gemeint ist…
Es war sehr merkwürdig für mich, so fremd, das Wort Vulva zu sagen.
Die ersten Monate und sogar Jahre, als ich bewusst vor meiner Tochter Vulva sagte, als ich sie wickelte oder wenn wir uns beim Baden nackt sahen und sie ihren und meinen Körper beobachtete - merkte ich, wie ich mich überwinden musste, diesen Begriff zu gebrauchen.
Doch mit der Zeit konnte ich beobachten, wie das Wort Vulva sich für mich langsam mit Leben füllte und ich mich immer wohler mit dem Wort fühlte. Gerade auch als meine Tochter dann anfing, mit einer völligen Selbstverständlichkeit - logisch, für sie war es ja einfach die Bezeichnung die sie gelernt hat - Vulva zu sagen, begann ich mich wohler zu fühlen mit dem Wort. Ich habe es in meiner Sprache aufgenommen und fühle mich inzwischen, nach 5 Jahren, sehr wohl damit.
Zu erkennen, dass es für meine Genitalien mit all den Details, die ich dort fand, Begriffe gibt - das hat mich nochmals viel stärker mit meinem Körper verbunden. Was habe ich hier alles und wie heisst es? Die Anatomie mit Hilfe von Büchern ganz genau zu verstehen - gemeinsam mit meiner Tochter… Das fand ich eine sehr schöne und verbindende Erfahrung.
Wir haben in Büchern auch die Anatomie von Männerkörpern betrachtet und dort die korrekten Begriffe verwendet. Dem Penis Penis zu sagen, war für mich allerdings schon von Beginn an weitaus normaler als es bei der Vulva der Fall war. Ich schätze, Penis zu sagen ist viel populärer als Vulva. Denn die meisten von uns haben wohl gelernt, dass Penis und Scheide die offiziellen Begriffe seien.
Daher denk ich schon, dass dies auch ein Thema ist, das veranschaulicht, wie Frauen sich sehen und gesehen werden. Ich finde auch Jungen sollten die Begriffe kennen und alle Kinder sollen Wissen, dass das weibliche Geschlecht mehr als ein “Schlitzli” ist, mehr als eine Scheide, mehr als ein Schnäggli…
Und wenn diese Begriffe normal werden, ist es auch einfacher möglich, darüber zu sprechen, dass es vielfältige Geschlechteridentitäten gibt, dass nicht alle Menschen mit einem Penis sich als Mann fühlen und umgekehrt…
Selbstbestimmung über den eigenen Körper
Es ist eine simple Möglichkeit, unsere Kinder zu stärken durch Worte, durch Wissen. Das Wissen über den eigenen Körper gibt Sicherheit. Darüber zu sprechen, dass es “meine Vulva” oder “mein Penis” ist, gibt den Kindern eine Selbstverständlichkeit über ihren Körper. Es ist nichts peinliches “da unten”. Ich bin überzeugt, dass wir damit einen Beitrag dazu leisten können, dass sich unsere Kinder später besser ausdrücken können darüber, was sie sexuell möchten und was nicht. Wenn es kein Tabu ist, die Körperteile zu benennen, über den eigenen Körper zu sprechen ist bereits eine grosse Hürde gar nicht vorhanden.
Grenzen akzeptieren
Es gibt auch einen anderen wichtigen Aspekt, der wichtig ist zu beachten im Zusammenhang mit dem Körpergefühl und den eigenen Grenzen. Sagt unser Kind Stopp zu etwas, so müssen wir das akzeptieren. Sei es beim Fangen spielen, beim Kitzeln oder beim Zähneputzen. Umgekehrt dürfen und sollen wir ganz klar auch unsere Grenzen kommunizieren. Wenn mir etwas zu nah ist, wenn ich gerade nicht angefasst werden möchte, dann sage ich das. So lernen die Kinder, dass jeder über seinen Körper bestimmen darf. Sie erfahren es aus zwei Perspektiven und wir sind die Vorbilder.
Küssli zum Abschied?
Dazu gehört auch, dass niemand zur Begrüssung umarmt oder geküsst werden muss - auch wenn die Oma dann vielleicht „traurig ist“. Beobachtet mal, ob es solche emotionalen Erpressungen gibt bei euch. Manchmal geschieht dies ganz nebenbei und wir sind es uns nicht bewusst. Denkt man dies weiter auf eine spätere Liebesbeziehung im Erwachsenenalter - Muss man etwas tun, weil es der andere unbedingt will? Weil er sonst traurig ist…? Oder ist es erlaubt, die eigenen Grenzen zu zeigen?
Mit den Erfahrungen als Kind legen wir prägende Denkmuster und wir können mit solch wichtigen Details massgeblich zum Selbstvertrauen und dem Verständniss von “meinen” und “deinen” Grenzen der Kinder beitragen.
Gesellschaftliche Wirkung?
Ich male mir aus, dass es irgendwann für alle Mädchen und Frauen normal ist, ihre Vulva zu benennen. Dass sie ihre Vulva im Detail kennen und dies ebenfalls für die Jungs und Männer normal ist. Alle wissen über die Anatomie der Frau - genau - Bescheid. Ich stelle mir vor, dass dies auf die Sexualität, aber auch auf die Geschlechterrollen in der Geschlechter und auf den Umgang miteianander einen Einfluss haben würde. Vielleicht sind wir nun daran, einen Anfang zu setzen. Ich wünsche es mir.
Hier noch ein paar Links und Empfehlungen zum Thema:
Bilderbuch: Lina die Entdeckerin Bruno will hoch hinaus Mehr erfahren auf Buuu.ch
Eine Mischung aus Sachbuch und Bildergeschichte. Es geht um Lina, die ihren Körper entdeckt. Ich finde, durchaus mit Mädchen wie auch mit Jungs zu betrachten.
Bruno will hoch hinaus ist die Version, in der es um den Penis und die Hoden geht. Ebenfalls zu empfehlen, ich finde die Geschichte ist ein wenig abstrakter als bei Lina, enthält aber ebenfalls wertvolles konkretes Fachwissen.
Kunst zur Vielfältikeit der Vulva auf Instagram: The Vulva Gallery
Vielseitiger und sehr informativer Dokfilm von 3sat: Vulva und Vagina – Neue Einblicke in die weibliche Lust