Nein! Klarheit kann Entspannung bringen

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Wie ein klares Nein allen Beteiligten Sicherheit geben kann

In einem längeren Prozess habe ich die Erfahrung gemacht, dass Klarheit sich selber und den Kindern gegenüber Entspannung und Sicherheit bringen kann.

In meiner Arbeit im Kindergarten ist es ein stetes Abwägen von Situationen, ich muss während eines Morgens immer wieder Entscheide fällen, die die Kinder direkt betreffen. „Darf ich in die Gumpiecke, kann ich rausgehen, muss ich aufräumen, ich will nicht mit xy spielen… Sind einige Beispiele solcher Situationen. Eine Zeit lang haben mich diese Fragen immer wieder in ein Dilemma gebracht. Ich musste abwägen zwischen Regeln und individuellem Bedürfnis oder auch zwischen dem Wohl der Gruppe und dem Einzelnen.

Da mir die individuellen Bedürfnisse der Kinder sehr wichtig sind, hatte ich oft Gefühl mit einem Nein dem Bedürfnis des Kindes nicht gerecht zu werden. Ich war hin und her gerissen. Eigentlich fand ich die Antwort klar, wollte es aber nicht durchsetzen, weil ich die Seite des Kindes ebenfalls verstand und nicht wollte, dass sich das Kind auf eine Art und Weise von mir eingeschränkt fühlte.

Weil es mir wichtig ist

Die Phasen, in denen ich diese Zerrissenheit in mir hatte, waren für mich total anstrengend. Ich realisierte, dass ich Stellung beziehen muss und Klarheit mir und den Kindern gegenüber brauchte. Was ist mir wichtig, wofür will ich einstehen? Und ich war verblüfft, was diese Erkenntnis mit sich brachte. Sobald ich nämlich klar war und zu gewissen Themen oder bestimmten Fragen klar Stellung bezog, zog eine Entspannung in die Gruppe. Die Kinder verstanden sehr schnell, dass ich sie manchmal mit einem Nein einschränkte. Ich erklärte meine Beweggründe wie das Wohl der Gruppe, die Wertschätzung von Spielsachen, oder auch mal einfach, „Weil es mir wichtig ist“. Ich erklärte ebenso, dass ich verstand, dass sie dies jetzt vielleicht blöd fänden oder wütend darüber seien, dass es mir aber trotzdem wichtig sei. Ich habe mich plötzlich gut dabei gefühlt, auch einmal Nein zu sagen, ich habe mir erlaubt Nein zu sagen und Stellung zu beziehen. - weil ich wusste, ich habe mir Gedanken dazu gemacht, das Nein hat einen Sinn. Ich habe abgewogen und ich konnte ohne schlechtes Gewissen, jedoch mit Mitgefühl Nein sagen.

Als Vorbild seine Haltung vertreten

Ich beobachte ausserdem zwei weitere wichtige Dinge: Die Kinder, insbesondere unsichere oder ängstliche, schätzen es sehr, klare Regeln als Orientierung zu haben. Sie geben einen Rahmen, auf den sie sich verlassen können, das gibt Sicherheit. Ausserdem merke ich, dass es in der Gruppe selbstverständlicher und natürlicher wurde, Nein zu sagen. Denn unsere Vorbildfunktion dürfen wir nicht vergessen. Wenn ich den Kindern beibringen möchte, es sei okay „Nein“ zu sagen, reicht es nicht, ihnen dies zu sagen. Die Kinder lernen es vorwiegend dadurch, indem wir es ihnen vorleben. Wenn ich jedoch immer wieder meine eigenen Werte und Ideen über Bord werfe, im Versuch dem Bedürfnis eines anderen gerecht zu werden - lebe ich doch das Gegenteil vor.

Diese Erfahrung lässt sich vom Klassensystem direkt auf das Familiensystem übertragen, denn es sind die gleichen Mechanismen. Stehe ich ein für die Werte, die ich meinem Kind mitgeben möchte? Stehe ich ein für meine Bedürfnisse? Dann darf ich den Frust des Kindes darüber auch mal aushalten. Mit der Sicherheit, dass ich meinem Kind gerade etwas ganz anderes wichtiges beibringe und vorlebe: Einstehen für sich selbst. Wenn ich in meiner Haltung klar bin, gelingt es mir zudem auch viel besser, gedulgig auf die Reaktion auf das Nein einzugehen. Und ich kann meine Haltung es erklären.

Ein Nein zu dir, ist ein Ja zu mir. Ein Nein zu etwas ist auch immer ein Ja zu etwas Anderem.
Indem ich beispielsweise Nein Sage zu Schoggi am Morgen früh, ist dies ein Ja meiner eigenen Grundhaltung gegenüber.

Natürlich gibt es nach wie vor Situationen, in denen abgewogen werden muss und es auch mal Ausnahmen gibt. Ich finde Ausnahmen total legitim - habe jedoch schon bemerkt, dass dies nicht alle Kinder gleich vertragen. Es gibt Kinder, die sehen Ausnahmen gar nicht gern - das muss dann wieder individuell entschieden werden.

Sich Zeit nehmen: Ich muss mir das in Ruhe überlegen

Im Alltag hat mir dieser Prozess sehr geholfen. In einem ersten Schritt überlege ich mir seither also in Ruhe ob mir etwas wichtig ist und weshalb. Auch mit Einbezug und Abwägung der Bedürfnisse aller Beteiligten (Kinder, PartnerIn, Gruppe, ganze Familie…). Manchmal kommuniziere ich dies auch, indem ich sage, ich muss mir das in Ruhe überlegen, heute machen wir es mal so - ich gebe dir morgen Bescheid wie wir das in Zukunft handhaben werden. In einem zweiten Schritt trete ich dann nach Aussen mit einer überlegten Haltung. Später kann ich in einem dritten Schritt meine Haltung auch wieder hinterfragen und wieder neu definieren - sie kann und darf sich auch verändern, es bleibt ein Prozess.

Wichtig scheint mir aber, nicht immer im oben beschriebenen Dilemma zu stecken, weil dies so unglaublich viel Energie frisst. Eine klare Haltung und die daraus resultierende „Neins“ können dem Familiensystem Entspannung, Klarheit und Orientierung geben.

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